Erstes deutsches OLG legt dem EuGH die Frage der Auslegung des medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs bei FSMP vor
OLG Düsseldorf, 28.06.2021, I-20 U 178/20 – Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung des medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs bei FSMP.
Es war eine Frage der Zeit, bis dem EuGH die Frage des medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs im Sinne der delegierten Verordnung über Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke vorgelegt wird. Nachdem soweit überblickbar drei deutsche OLGs sich gegen die Rechtsansicht des BGH mit einem weiten Verständnis des medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs gewandt haben, hat nun das OLG Düsseldorf die Entscheidung getroffen, den EuGH anzurufen.
Die Vorlagefrage befasst sich einerseits mit dem Begriff des medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs und andererseits mit der Frage der allgemein anerkannten, wissenschaftlichen Daten.
Das Thema ist in der Diskussion nicht neu: Durch die „neue Rechtslage“ aufgrund der VO (EU) 609/2013 und VO (EG) 128/2016 hat sich defacto in den rechtlichen Begriffen nichts geändert. Dennoch haben insbesondere deutsche Behörden, Gerichte, Verbände und die EU-Kommission angefangen, ein anderes begriffliches Verständnis der rechtlichen Voraussetzungen von FSMP (Foods for Special Medical Purposes) anzuwenden. Dies wird berechtigterweise kritisiert und ist wenig verständlich, weil sich der Rechtsrahmen defacto nicht geändert hat. Zur Auslegung von EU Recht ist aber nur der EuGH berufen.
Der BGH hat in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf auch dann vorliegt, wenn auf andere Art und Weise durch die Nährstoffzufuhr einer Erkrankung entgegengewirkt werden soll oder der Verbraucher aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe besondere Nutzen ziehen kann („weiter Ernährungsbegriff“). Mehrere deutsche OLGs haben in der jüngsten Vergangenheit jedoch judiziert, dass ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit ausgeglichen werden müsse. Es müsse somit der „weite Ernährungsbegriff“ eingeschränkt werden.
Hier die Vorlagefragen, welche unseres Erachtens nicht besonders geglückt sind:
Das OLG Düsseldorf legt dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen betreffend die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 12. 6. 2013 über Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung und zur Aufhebung der Richtlinie 92/52/EWG des Rates, der Richtlinien 96/8/EG, 1999/21/EG, 2006/125/EG und 2006/141/EG der Kommission, der Richtlinie 2009/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 41/2009 und (EG) Nr. 953/2009 des Rates und der Kommission (ABl. L 185 vom 29. 6. 2013, S. 35) (zukünftig: FSG-Verordnung) sowie zur Delegierten Verordnung (EU) 2016/128 der Kommission vom 25. September 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die besondere Zusammensetzungs- und Informationsanforderungen für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ABl. L 2016 Nr. 25 S. 30) (zukünftig: Delegierte Verordnung) zur Vorabentscheidung vor:
1. Unter welchen Umständen liegt ein sonstiger medizinischer Nährstoffbedarf nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. g) 2. Alternative der FSG-Verordnung vor, nämlich: setzt dies – neben der in der 1. Alternative angesprochenen eingeschränkten, behinderten oder gestörten Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechselung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel – voraus, dass krankheitsbedingt ein erhöhter Nährstoffbedarf besteht, der durch das Lebensmittel gedeckt werden soll, oder reicht es aus, wenn der Patient durch die Aufnahme dieses Lebensmittels allgemein aus der Aufnahme dieses Lebensmittels Nutzen zieht, weil darin enthaltene Stoffe der Störung entgegenwirken oder deren Symptome lindern?
2. Für den Fall, dass die 1. Frage im Sinne der letztgenannten Alternative zu beantworten ist:
Setzen „allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 der Delegierten Verordnung in jedem Falle eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie voraus, die zwar nicht das fragliche Erzeugnis selbst betrifft, aber zumindest Ansatzpunkte für die angegebenen Wirkungen bietet?