FSMP: EuGH zum Nährstoffbedarf. Ende in Sicht?
Am 27.202022 erschien die lang erwartete Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen des OLG Düsseldorf (EuGH C-418/21, 27.10.2022).
Zusammengefasst suchte das OLG Düsseldorf zu verstehen, was unter einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf nach Art 2 Abs. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 609/2013 zu verstehen ist, konkret ob dies ein weites Verständnis rechtfertigt, wie dies insb. in der vergangenen Judikatur des BGH der Fall war, oder ein enges. Der EuGH sieht ein enges Verständnis und führt im Tenor aus:
Art. 2 Abs. 2 Buchst. g der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 […] und insbesondere der Begriff „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“ sind dahin auszulegen, dass ein Erzeugnis ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke darstellt, wenn krankheitsbedingt ein erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf besteht, der durch das Lebensmittel gedeckt werden soll, so dass es für eine solche Einstufung nicht ausreicht, dass der Patient allgemein aus der Aufnahme dieses Lebensmittels deswegen Nutzen zieht, weil darin enthaltene Stoffe der Störung entgegenwirken oder deren Symptome lindern.
Beantwortet das also die Frage, ob die Krankheit kausal sein muss, für den Nährstoffbedarf, der gedeckt werden soll?
Der EuGH begründet dies ua wie folgt:
34 Das Erfordernis, dass das Lebensmittel hinsichtlich seiner Zusammensetzung, seiner Beschaffenheit oder seiner Form für die Ernährungsanforderungen angemessen ist, die durch eine Krankheit, eine Störung oder Beschwerden bedingt sind und denen es gerecht werden soll, schließt es jedoch aus, ein Erzeugnis allein deshalb als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einzustufen, weil die Nährstoffe, aus denen es besteht, positive Auswirkungen in dem Sinne haben, dass sie dem Patienten allgemein einen Nutzen verschaffen und dazu beitragen, dessen Krankheit, Störung oder Beschwerden vorzubeugen, sie zu lindern oder sie zu heilen.
35 Denn zum einen müssen Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zwar so konzipiert sein, dass sie den durch eine Krankheit, eine Störung oder Beschwerden bedingten spezifischen Ernährungsanforderungen entsprechen, doch ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 609/2013 keineswegs, dass es für die Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ausreicht, dass ein Erzeugnis solche Auswirkungen hat und dem Patienten allgemein einen Nutzen verschafft.
36 Zum anderen veranschaulicht dieses Angemessenheitserfordernis den spezifischen Charakter der Ernährungsfunktion der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. So kann ein Erzeugnis, das dem Patienten zwar allgemein einen Nutzen verschafft oder – wie von Orthomol in Bezug auf die in Rede stehenden Erzeugnisse behauptet wird – durch Nährstoffzufuhr einer Krankheit, einer Störung oder Beschwerden entgegenwirkt, aber keine solche Ernährungsfunktion hat, nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eingestuft werden.
Eine nachvollziehbare Begründung ist das leider nicht, denn wann eine Ernährungsfunktion vorliegt, und wann nicht, wird nicht weiter behandelt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Ernährungsbegriff findet gar nicht statt.
Auch im Weiteren wird von einer Ernährung gesprochen, ohne darauf einzugehen, wann eine Ernährung vorliegt und warum diese bei Einnahme von Nährstoffen nicht gegeben sein soll:
41 Wenn ein Patient aus der Aufnahme eines Erzeugnisses jedoch insoweit allgemein einen Nutzen zieht, als dessen Inhaltsstoffe dazu beitragen, einer Krankheit vorzubeugen, sie zu lindern oder sie zu heilen, dann zielt dieses Erzeugnis nicht darauf ab, diesen Patienten zu ernähren, sondern ihn zu heilen, einer Krankheit vorzubeugen oder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, was dafür spricht, dieses Erzeugnis anders denn als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einzustufen.
Dass der Hinweis auf Diätmanagement von Krankheiten, Störungen oder Beschwerden, für die das Lebensmittel bestimmt ist, nicht als Zuschreibung einer Eigenschaft hinsichtlich der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit gelten soll, steht ausdrücklich in Erwägungsgrund 25 der VO 609/2013/EU. Weiters heißt es in Erwägungsgrund 15 „Diese Lebensmittelkategorien sind für die Regulierung bestimmter Krankheitsbilder und/oder, um den Ernährungsanforderungen bestimmter eindeutig bezeichneter gefährdeter Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden, unverzichtbar.“. Ein Krankheitsbild zu regulieren ist daher ausdrücklich Sinn und Zweck eines FSMP.
Die Abgrenzung zwischen dem Diätmanagement bei einer Krankheit auch zur Regulierung eines Krankheitsbilds von einem Beitrag, einer Krankheit vorzubeugen, sie zu lindern oder sie zu heilen, ist eine sprachliche Finesse ohne sinnvollen ernährungswissenschaftlichen oder medizinischen Aspekt.
Ohne eines Nachweises, dass die Krankheit, bei welcher das FSMP einzunehmen ist, für den Nährstoffbedarf kausal ist, werden sich daher in Zukunft FSMP nicht rechtfertigen lassen können, selbst wenn nachgewiesen ist, dass das FSMP das Krankheitsbild reguliert. Das bestätigt der EuGH weiter:
50 Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. e und g der Delegierten Verordnung 2016/128, dass jedes Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum einen die Angabe der Ernährungsanforderungen und der Krankheit, der Störung oder der Beschwerden, für die es bestimmt ist, und zum anderen eine Beschreibung der Eigenschaften und/oder Merkmale enthalten muss, denen das Erzeugnis seine Zweckdienlichkeit in Bezug auf die Krankheit, die Störung oder die Beschwerden verdankt, für deren Diätmanagement es vorgesehen ist.
51 Eine solche Angabe setzt voraus, dass die Ernährungsanforderungen identifiziert werden, die durch die Krankheit, die Störung oder die Beschwerden bedingt sind und denen das Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke entsprechen soll.
52 Das Erfordernis dieser Angabe bestätigt eindeutig, dass ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke den Ernährungsanforderungen entsprechen muss, die durch eine spezifische Krankheit, eine spezifische Störung oder spezifische Beschwerden bestimmt sind, und dass ein Erzeugnis, das dem Patienten allgemein einen Nutzen verschafft, grundsätzlich keine solchen Eigenschaften und Merkmale hat, da es nicht dazu dient, solchen besonderen Ernährungsanforderungen zu entsprechen. Daraus folgt, dass ein solches Erzeugnis aus diesem Grund nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eingestuft werden kann.
Am Ende lässt der EuGH dann eine kleine Hoffnung offen, wenn er mit Sinn und Zweck der Rechtslage argumentiert und damit, dass sich diese nicht mit anderen geregelten Materien (Konkret Arzneimitteln) überschneiden sollen.
56 Mit einer Auslegung, der zufolge es für die Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ausreichte, dass der Patient allgemein aus der Aufnahme eines Erzeugnisses Nutzen zöge, weil darin enthaltene Stoffe einer Störung entgegenwirkten oder deren Symptome linderten, würden die Besonderheiten der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkannt und insbesondere die Unterscheidung zwischen solchen Lebensmitteln und Arzneimitteln in Frage gestellt.
57 Würde so verfahren, so ließe sich ein Erzeugnis als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einstufen, wenn es einer beim Patienten vorliegenden Krankheit oder Störung entgegenwirkt, obgleich es nicht den sich aus dieser Krankheit oder Störung ergebenden Ernährungsanforderungen entspricht, sondern unter die Regelung für Arzneimittel fällt, die das Inverkehrbringen solcher Erzeugnisse von einer Zulassung abhängig macht.
Diese Ausführung könnte man wieder dahingehend interpretieren, dass eine (positive) Auswirkung auf die Erkrankung sozusagen als Nebeneffekt der Befriedigung einer sich aus dieser Krankheit oder Störung ergebenden Ernährungsanforderungen, unschädlich ist.
Zusammenfassung
2018 haben wir einen Artikel über den Status quo und die Zukunftsaussichten von FSMP geschrieben (hier nachzulesen). 2022 sind diese nicht mehr positiv, obwohl die Argumente des EuGH an vielen Stellen Fragen aufwerfen bzw nicht mit der wünschenswerten Nachvollziehbarkeit ihre Deckung in der Rechtslage finden. Eine Rechtslage die in den auslegungsbedürftigen Bestimmungen defacto unverändert seit der Diät-Rahmen-Richtlinie( RL 89/398/EWG) bestand. Inverkehrbringer von FSMP müssen nun ein weiteres Mal ihre Produkte genau unter die Lupe nehmen.